Meinung

Bosnien-Herzegowina: Ende der Protektoratsherrschaft auch 26 Jahre nach Bürgerkrieg nicht in Sicht

Christian Schmidt ist seit August Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina. Doch politische Vertreter der Serben akzeptieren seine Ernennung nicht. Der Ex-Agrarmininister mit CSU-Parteibuch soll favorisierter Kandidat der Bundeskanzlerin Angela Merkel gewesen sein.
Bosnien-Herzegowina: Ende der Protektoratsherrschaft auch 26 Jahre nach Bürgerkrieg nicht in SichtQuelle: Reuters © Dado Ruvic

Von Marinko Učur, Banja Luka/Belgrad

Obwohl der deutsche Politiker und ehemalige Bundesminister Christian Schmidt (CSU) jüngst die Stelle seines Vorgängers Valentin Inzko als Hoher Repräsentant der UNO in Bosnien-Herzegowina übernommen hat, wird die politische Lage bezüglich seiner "zweifelhaften" Legitimität immer komplizierter. Politische Vertreter der Republika Srpska, einer der beiden Entitäten im Land, in der vorwiegend Serben leben, nehmen seine Ernennung nämlich nicht an. Sie drohen sogar, nicht mit ihm zu kooperieren, weil seine Legislaturperiode durch den UN-Sicherheitsrat nicht bestätigt wurde.

Russland und China waren grundsätzlich gegen seine Ernennung und argumentierten, es sei höchste Zeit, dass die internationale Verwaltung das Land 26 Jahre nach dem Bürgerkrieg verlässt.

Die Botschaft der Russischen Föderation in Bosnien-Herzegowina hatte in der vergangenen Woche in einer diplomatischen Note angeführt, dass sie Schmidt nicht als neuen Hohen Repräsentanten im Westbalkanland akzeptiere. Einige Tage später unternahm die chinesische Botschaft in Sarajevo den gleichen Schritt, wodurch beide Länder zum Ausdruck brachten, auf der Einhaltung des Völkerrechts zu beharren.

In der russischen Note steht, dass der UN-Sicherheitsrat Schmidts Kandidatur nicht offiziell zugestimmt habe und dass die Russische Föderation ihn daher nicht als legitimen Hohen Repräsentanten ansehe.

Der österreichische Diplomat Inzko, der zuvor von seinem Posten als Hoher Repräsentant zurückgetreten war, verfügte kurz vor seinem Abgang Ergänzungen zum Strafgesetzbuch von Bosnien-Herzegowina, durch die die "Leugnung von Völkermord und die Verherrlichung von Kriegsverbrechern" verboten und bestraft werden.

Provoziert durch Inzkos auferlegte Entscheidung, verabschiedete die Nationalversammlung der Republika Srpska am 30. Juli in einer Dringlichkeitssitzung einstimmig das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches der Republika Srpska und das Gesetz über die Nichtanwendung der Entscheidung des Hohen Repräsentanten. Dadurch ist Schmidt nun in die Lage geraten, nachweisen zu müssen, dass seine Ernennung trotz der genannten Einwände legitim ist.

Wie ernst die Lage in dieser Hinsicht offenbar war, bestätigt auch die Information, dass Schmidt und Inzko am 18. August ein gemeinsames Treffen mit der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel hatten. Nach dem Termin hieß es, die Bundeskanzlerin habe die volle Unterstützung der Bundesregierung für die Ausübung der wichtigen internationalen Aufgabe des Hohen Repräsentanten in Bosnien-Herzegowina zugesichert.

Das Gesprächsthema war "Bosnien-Herzegowinas Weg in die EU sowie die anstehenden Reformen bei der Umsetzung von 14 Reformprioritäten der Europäischen Kommission", damit das Land den EU-Kandidatenstatus erhält. Klar ist jedoch, dass Schmidt in Berlin vor allem Unterstützung für sein umstrittenes Mandat erhalten wollte.

Ein ständiges "Sich-im-Kreis-Drehen"

Der Politologe Dragoljub Anđelković präsentiert in einem Statement für RT DE eine interessante Analyse des Problems, das er der "systematischen Politik des Westens" unterstellt:

"Ich befürchte, dass die Krisensituation, in die Bosnien-Herzegowina gedrängt wurde, von Dauer sein wird. Der Punkt ist, dass sie kein Produkt des Versehens oder der einseitigen Aktion eines Einzelnen ist, sondern der systematischen Politik des Westens, die darauf ausgerichtet ist, die Interessen Russlands, Serbiens und der Republika Srpska mit Füßen zu treten."

Es sei schon von Anfang an klar gewesen, dass jene Art und Weise, wie nun "die illegal aufgedrängte Ernennung von Schmidt erfolgt war, durch die die Rolle Moskaus und der Wille von Banja Luka entkräftet werden, ein ernsthaftes Problem hervorrufen wird". Nichtsdestotrotz wurde laut Anđelković in der geschilderten Vorgehensweise gehandelt, "was bedeutet, dass die Krisensituation absichtlich herbeigeführt wurde". Der Politologe ergänzte:

"Wenn schon der falsche Weg eingeschlagen wurde, ist meiner Meinung nach nicht damit zu rechnen, dass er über Nacht aufgegeben wird. Ebenso wenig, wie es für Russland und die Republika Srpska realistisch ist, der Gesetzlosigkeit zuzustimmen."

Anđelković, der mit RT DE vor dem Treffen zwischen Merkel und Schmidt gesprochen hatte, prophezeite, dass man davon nichts als leere Phrasen erwarten sollte, "die zu keiner Beruhigung der Lage führen oder gar zu Initiativen, die die Bereitschaft Berlins zum Ausdruck bringen könnten, kein Öl mehr ins Feuer zu gießen". Bis dahin sei nur ein unproduktives und ständiges "Sich-im-Kreis-Drehen" zu erwarten, was von jenen verursacht geworden sei, "die zwar ständig über Demokratie reden, doch in Wahrheit ihr neokoloniales Verhalten zeigen", betonte Anđelković.

Mangel an "balancierter Demokratie"

Auf der anderen Seite hatte Darko Trifunović, Direktor des für häufige Russlandkritik bekannten Belgrader Instituts für nationale und internationale Sicherheit, erwartungsgemäß eine andere Meinung und betonte in einem Statement für RT DE:

"Ein großartiges Simultanschach mit enormen Auswirkungen auf die Zukunft kleiner Nationen ist im Gange. Ich befürchte, dass in der Republika Srpska keine 'balancierte Demokratie' besteht und dass ihre ausschließliche Ausrichtung auf Russland in einer Lage, in der sie vom NATO-Bündnis umgeben ist, nicht die erwarteten Vorteile bringen wird."

Russland und China könnten mit ihren diplomatischen Noten den Serben bei der Artikulation ihrer Wünsche im bestehenden Zustand, in dem sich NATO-Panzer in Bosnien-Herzegowina befinden, nicht helfen, so Trifunović.

Deutschland werde Russlands Recht auf seine Interessen in Europa anerkennen, obwohl die USA sich immer noch weigern, dieses Recht Russlands anzuerkennen. Deshalb werde Moskau mit seinen Schritten zeigen, dass es auf dem Balkan präsent sei und gefragt werde, "will aber seine Beziehungen zu Deutschland nicht gefährden", betont Trifunović und äußert seine Befürchtung, dass die Republika Srpska und ihre Interessen nur "als Lückenbüßer" zur Wahrung der Interessen großer Länder dienen werden, und dass Schmidt zweifellos die Unterstützung der deutschen Bundeskanzlerin erhalten werde.

Ob Russland Schmidt trotz des geäußerten Widerstands ernsthafte Probleme bereiten wird, ist eine Frage, die demnächst beantwortet werden wird. Die Heterogenität und Verflechtung der russisch-deutschen Beziehungen und Interessen wird aber beim jüngsten Simultanschach auf dem Balkan sicherlich nicht in Frage gestellt.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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