Zu russlandfreundlich: Wie der SPIEGEL gegen Die Linke Stimmung macht
von Wladislaw Sankin
Eine Podiumsdiskussion der Linksfraktion sollte ein Zeichen für mehr Verständigung mit Russland setzen. Unter dem Titel "Brücken und Brüche: Zur notwendigen Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen" fand sie am Dienstag in den Diskussionsräumen des Deutschen Bundestages statt.
"Den westlichen Blick auf Russland beherrschen Empörung, Furcht – und Nichtakzeptanz russischer Interessen", stellten die Veranstalter in dem Beschreibungstext zur Diskussion fest. Der größte Staat der Erde scheint westlichen Medien zufolge nach wie vor ein Land der rätselhaften Widersprüche und bedrohlich für seine Nachbarn zu sein. Das Land werde von wirtschaftlichem Niedergang, grassierender Korruption, sozialem Zerfall und Spannungen geplagt.
Das Russland-Bild zu positiv?
Natalia Kowalewskaja von der Universität Sankt Petersburg sollte mit einem "unverstellten Blick auf die innerrussischen Verhältnisse abseits gängiger Klischees" dem etwas entgegensetzen. Sie hielt vor zahlreichen Gästen einen Impulsvortrag zur russischen Agenda im 21. Jahrhundert. Eingeleitet wurde dieser vom Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei Dietmar Bartsch und dem langjährigen Sicherheitssprecher der Fraktion Alexander Neu.
Die russische Expertin betonte, dass ihr Blick bewusst eine positive Bewertung der russischen Verhältnisse und russischer Politik darstellt. Dabei wirkten ihre Ausführungen stellenweise anpreisend, in der anschließenden Diskussion war sie polemisch und nicht neutral. Viele Behauptungen über ihr Land seien "Fake News", war sie der Auffassung. So wies Kowalewskaja darauf hin, dass entgegen der Meldungen über die Verfolgung von Homosexuellen in Russland bislang nur wenige Menschen mit Geldstrafen belegt worden seien – und zwar für die Verletzung des Gesetzes über das Verbot der Propaganda für Homosexualität und Pädophilie unter Minderjährigen und nicht für die Homosexualität selbst.
Als abwegig empfand dies ein Spiegel-Redakteur. Schließlich gehört sein Blatt zu ebenjenen Medien, in denen Meldungen über angebliche Morde und Folter gegenüber Homosexuellen in der russischen Teilrepublik Tschetschenien immer wieder kursieren. Ihr Wahrheitsgehalt wurde vonseiten eines RT-Gastautors, der über Insiderwissen zur russischen Homosexuellenszene verfügt, mehrfach angezweifelt.
Nur wenige Stunden nach der abendlichen Diskussion postete der Spiegel-Mann einen kritischen Artikel über die Veranstaltung. Aus seiner Sicht sei sie "heikel" gewesen, und zwar aus mehrfacher Sicht. Heikel aufgrund des Rufs der Partei als "Diktatoren-Freundin" – dabei werden neben Russland auch Kuba und Venezuela als angebliche Diktaturen genannt. Heikel aufgrund der Person Alexander Neu, der "als Initiator einer Strafanzeige gegen die Bundeskanzlerin wegen des US-Drohnenmords am iranischen General Qassem Soleimani gerade erst den Zorn vieler in Partei und Fraktion auf sich gezogen hat und jetzt ein Podium bekommt". Und heikel, weil die Partei nach einer Strategiekonferenz unter verstärkter Beobachtung steht.
Jeder in dieser Partei muss wissen, dass sie in den Augen der Öffentlichkeit gerade auf Bewährung ist, so der Spiegel – wohl im Glauben, dass die veröffentlichte Meinung mit jener der Öffentlichkeit gleichzusetzen ist.
Anschließend gibt der Journalist die Äußerungen Alexander Neus in diversen Situationen der Diskussion wieder und schreibt, was Neu aus seiner Sicht hätte sagen sollen. So empfand er die Frage eines ZDF-Journalisten zu seiner Haltung zur russischen Krim- "Annexion" für richtig, die Antwort Neus, die Abspaltung der Krim von der Ukraine sei eine Sezession und lediglich die spätere Aufnahme der Krim in die russische Föderation ein völkerrechtswidriger Akt gewesen, für falsch.
Neu: Russland ist nicht mehr "pro AfD"
Doch der größte Skandal, der dem Artikel auch die Schlagzeile "Das haben wir auch kommuniziert nach Russland" verlieh, war Neus Kommunikationsstrategie gegenüber der AfD. Aktuell habe Russland gar kein Interesse daran, mit rechten Parteien zu kooperieren, so Neu. Das passierte nur deshalb, weil sonst niemand mit Russland geredet habe. Die AfD sei aber gar nicht mehr so gern gesehen in Moskau, zitiert der Spiegel den Linkspolitiker.
Was durch den Kreml zur Kenntnis genommen wurde, war die Position der Linken mit Blick auf diese Resolution im EP (die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Gleichsetzung des Sowjetkommunismus und Nationalsozialismus vom 19. September 2019, für die die AfD gestimmt hat – Anm. der Red.). Was zur Kenntnis genommen wurde, ist auch, dass die AfD im Deutschen Bundestag bei den Haushaltsplänen auch einen Antrag von uns, der da hieß, keine Aufrüstung gegen Russland, abgelehnt hat. Das haben wir auch kommuniziert nach Russland, dass die AfD das gemacht hat. Und dass es in der AfD selber, wie in vielen Parteien, Transatlantiker gibt, gibt der Spiegel den Wortlaut Neus wieder.
Aus Sicht des Spiegels könnte das anscheinend nur ein russischer Agent geschrieben haben. "Die Linke steht derzeit unter Beobachtung wie lange nicht. Nach diesem Abend noch etwas mehr", schlussfolgert der Autor. Der Verfassungsschutz sei alarmiert, ließe sich hinzufügen.
Wer sind nun "Putins neue Puppen"?
Das Unbehagen des Spiegel-Mannes ist allerdings verständlich. Es war der Spiegel selbst, der mit dem Artikel "Putins Puppen" vor einem Jahr versucht hat, die AfD als Handlanger des Kremls darzustellen. RT Deutsch und die NachDenkSeiten haben diesen Vorwurf als Fake News zurückgewiesen. Weder ein direkter Draht der Partei zum Kreml noch die Kooperation vonseiten Moskaus wurden nachgewiesen. Nun droht sich ein weiterer antirussischer Vorwurf aufzulösen, und zwar jener, dass Russland hinter Europas Rechten stünde. Doch werden nun bald die Linken statt die AfD zu russischen Agenten vom Spiegel auserkoren?
Der Spiegel-Redakteur bemerkt in seinem des Nachts kreierten Artikel nicht einmal, dass er damit die sonst auch von seinem Blatt so gern verpönten rechten "Bösewichte" von der AfD in Schutz nimmt. Dies liegt daran, dass die AfD, trotz positiver Signale Richtung Russland, in großen Teilen ihrer westlichen Belegschaft – nach Taten bewertet – tatsächlich viel eher transatlantisch ausgerichtet ist. So wie der Spiegel selbst.
Es sei noch anzumerken, dass der Autor eine Kunst sicher beherrscht – die Kunst der Unterlassung. Er unterlässt das, was die beiden Parteigrößen Bartsch und Neu in ihren Eröffnungsreden ausgesprochen haben. Sie begründeten in ihrem historischen Rückblick mit exklusivem Augenzeugenwissen, warum Russland aus ihrer Sicht vom Westen ungerecht behandelt wird. Bartsch sagte, er selbst habe die Begeisterung der deutschen Abgeordneten im Deutschen Bundestag im Jahr 2001 nach Putins berühmter Rede erlebt, als er die Hand der Freundschaft nach Europa ausgestreckt habe. Eine Geste, die nicht erwidert wurde.
Neu wies darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen ein positives Verhältnis zu Russland haben möchte, ohne Vorbedingungen und Vorleistungen, die von der westlichen Politik immer wieder gefordert werden. Im Falle eines Krieges zwischen Russland und den USA würden einer weiteren Umfrage zufolge 70 Prozent der Deutschen eine neutrale Haltung einnehmen. Auch sieht das Gros der Deutschen in den USA eine größere Bedrohung als in Russland.
Diese Feststellungen werden bei nach wie vor transatlantisch ausgerichteten deutschen Mainstreammedien anscheinend als Resultat einer unzureichenden Aufklärung ihrerseits aufgefasst. Ein Anlass für den Spiegel, nun auch noch den offiziellen Austausch zwischen den russischen und deutschen Parlamenten als anrüchig darzustellen. Dietmar Bartsch erwähnte diesen Austausch in seinem Begrüßungswort und lobte ihn ausdrücklich als ausgezeichnete Kontaktmöglichkeit zur russischen Politik, "bei der auch Kritik und kontroverse Themen diskutiert werden".
Denn als Neu sagte, dass er "nach Russland das Abstimmungsverhalten der AfD kommuniziert hat", meinte er selbstverständlich diesen schon seit Jahren etablierten Kommunikationskanal der Abgeordneten.
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