Meinung

"Putin-Versteher" oder "treuer Transatlantiker": Wie stehen Laschet und Merz zu Russland?

Friedrich Merz und Armin Laschet gehören zu den Favoriten im Rennen um den CDU-Vorsitz. Damit könnte einer von beiden Chef einer Regierungspartei werden, die die Richtlinien der Außenpolitik bestimmt. Das Verhältnis zu Russland ist dabei eine der Kernfragen.
"Putin-Versteher" oder "treuer Transatlantiker": Wie stehen Laschet und Merz zu Russland?Quelle: www.globallookpress.com

von Wladislaw Sankin

Die erste Runde haben die aussichtsreichsten Kandidaten für den CDU-Vorsitz, Friedrich Merz und Armin Laschet, schon absolviert – die ersten Pressekonferenzen und TV-Talks. Die Außenpolitik war dabei kein Thema. Manche Medien wie t-online gehen schon der Frage nach, wer besser zum Staatsmann tauge, wem man eher zutraue, künftig "mit Trump und Putin auf Augenhöhe zu verhandeln".

Merz war lange Jahre Vorstandsvorsitzender des Lobbyvereins Atlantik-Brücke, der sich als Netzwerk und privates Politikberatungsinstitut für enge Bande mit den USA in allen Bereichen einsetzt. Ist von ihm auch eine Politik im Schlepptau der USA zu erwarten? Oder ist er zumindest den "gemeinsamen Werten" mit Washington in der Außenpolitik verpflichtet, wie dies beim Toppersonal der CDU üblich ist?

Der andere aussichtsreiche Bewerber für das höchste Amt in der CDU, Armin Laschet, engagiert sich hingegen in deutsch-russischen Gremien. So trat er im letzten Jahr beim Deutsch-Russischen Forum in Berlin auf. Er ließ zum ersten Mal die Sitzung des Petersburger Dialogs in Nordrhein-Westfalen stattfinden, an dem auch die Außenminister Sergei Lawrow und Heiko Maas teilnahmen. Mit Lawrow traf er sich persönlich und sprach eine halbe Stunde mit ihm – recht lange für einen Landesvater.

Auch in den Vorjahren signalisierte Laschet mehrmals, dass er in der Russland-Frage anders tickt als der Rest der Partei, was Die Welt dazu bewegte, ihn zur Zeit der sogenannten Krim-Krise auf die Liste der "Putin-Versteher" zu setzen – zusammen mit Alexander Gauland, Gerhard Schröder, Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer. Der Anlass: In den Tagen nach dem Krim-Referendum kritisierte er einen "Anti-Putin-Populismus" in Deutschland.

Diese Medienschelte hat Laschet überlebt, mehr noch – er ist dabei, seinen politischen Einfluss weiter auszubauen. Aber würde er den "etwas anderen Laschet" für seine weitere CDU-Karriere ablegen und so einsilbig auftreten, wie dies Annegret Kramp-Karrenbauer in ihrer Eigenschaft als CDU-Chefin getan hat? So beschwor sie bei der Deutsch-Amerikanischen Konferenz der Atlantik-Brücke und dem American Council on Germany im Juni die Bedeutung der "gemeinsamen Werte" als Grundlage der transatlantischen Beziehungen – und der westlichen Hegemonie. Sie forderte auch eine Abgrenzung von Russland und twittere:

Gerade in diesen Zeiten ist es wichtig, unsere transatlantische Zusammenarbeit & Partnerschaft mit den USA zu stärken und zu vertiefen. Unsere Werte müssen wir gemeinsam verteidigen.

Außenpolitische "Nachhilfe" von Bild

Am Mittwoch sprachen zwei Bild-Redakteure mit Laschet. Dabei fragten sie ihn im Videointerview auch nach seinem Verhältnis zu den "Bad Boys" aus westlicher Sicht – zum syrischen "Diktator" Baschar al-Assad und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die Welt gehört ebenso wie die Bild zum Axel-Springer-Verlag; sollte Laschet also im Gespräch etwas "Falsches" sagen, könnten die Redakteure ihn flugs wieder als "Putin-Versteher" titulieren.

Auch in der Syrien-Frage ist Laschet aus deren Sicht nicht "unbefleckt", denn er warnte in der Vergangenheit davor, die syrische Opposition zu Assad undifferenziert zu sehen. Ein anderer Bild-Redakteur sammelte einmal Laschets ältere angebliche "Pro-Assad"-Tweets und schrieb, der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens hätte Kommentator für RT Deutsch sein können. Im Hinblick auf Russland sagte Laschet im Bild-Interview:

Wir müssen mit Russland Klartext reden im Hinblick auf die Besetzung der Krim. Russland ist auf der Krim ein Aggressor, das ist offenkundig. Dass es einen Bruch des Völkerrechts gibt, das steht außer Zweifel.

Laschet wusste, mit wem er spricht und wie er aufzutreten hat. So verzichtete er im Gespräch mit der Rheinischen Post im September 2019 darauf, Kampfbegriffe wie "Aggressor" und "Besetzung" in den Mund zu nehmen, als er über dasselbe Thema sprach:  

Es gibt viele Konflikte, wo wir vorankommen müssen, ohne dass wir unsere völkerrechtliche Position etwa zur Krim aufgeben. Da kann man Klartext reden und trotzdem auf anderen Feldern kooperieren und im Gespräch bleiben.

Dieses Interview ging damals durch die gesamte deutsche Presselandschaft – versehen mit Schlagzeilen wie "Laschet: 'Brauchen Russland für viele Fragen in der Welt'" oder "Laschet ist für engere Kooperation mit Russland".

Bild nahm in Online- und Printversion des Interviews nicht alles auf, was Laschet über Russland sagte. Gestrichen wurden etwa die Sätze: "Wir brauchen für Syrien eine friedliche Lösung, und dafür brauchen wir Russland" oder "Russland ist auf der Welt, und wir müssen mit denjenigen reden, die auch andere Werte teilen als wir". Man müsse in Gesprächen herausfinden, wo die Unterschiede liegen und wie man zu einer Veränderung gelangen kann. Laschet verwies dabei auf die Leistungen der deutschen Diplomatie in den letzten 70 Jahren wie etwa Willy Brandts "Neue Ostpolitik".

Zweifel an Vorwürfen gegen Russland

Dass er das Völkerrecht nicht nur im Zusammenhang mit der angeblichen "Krim-Annexion" erwähnen kann, zeigte Laschet, als er Kritik an der kollektiven Ausweisung russischer Diplomaten im Zuge der Skripal-Affäre im April 2018 übte und twitterte:  

Wenn man fast alle NATO-Staaten zur Solidarität zwingt, sollte man dann nicht sichere Belege haben? Man kann zu Russland stehen wie man will, aber ich habe im Studium des Völkerrechts einen anderen Umgang der Staaten gelernt.

Sein Tweet entsprang keiner spontanen Laune. Vor gut einem Jahr, im März 2019, sagte der CDU-Mann in seiner Rede vor der Jahresversammlung des Deutsch-Russischen Forums zu den Vorwürfen gegen Russland: "Wahleinmischungen, Cyberaktivitäten, Desinformation oder Gefährdung der transatlantischen Sicherheit. Es müssten Experten ran, darunter Militär von beiden Seiten, um zu klären, was an solchen Vorwürfen dran ist und was erfunden ist." RT Deutsch  schrieb damals:

Er (Laschet) hielt es also unumwunden für möglich, dass die Vorwürfe gegen Russland auch erfunden sein könnten. Der Ministerpräsident betonte, dass in seinem Bundesland bekanntlich jahrzehntelang die Hauptstadt der Bonner Republik lag. Dort bahnte sich die westdeutsch-sowjetische Annäherung Anfang der siebziger Jahre an.

Die im Vergleich zum Rest der Partei ausgewogene, deshalb fast schon russlandfreundlich klingende Rhetorik Laschets beruht also auf seinen langjährigen fundamentalen Überzeugungen, wie Politik gemacht wird. Wenn man zudem bedenkt, dass der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens als wirtschaftsfreundlich gilt, ist es durchaus von Bedeutung, dass in NRW 1.200 Unternehmen aus Russland aktiv sind und dieser größte deutsche Industriestandort 40 Prozent seiner Gaslieferungen aus Russland bezieht.

Laschet wird sich eventuell der Parteilinie anpassen, dass er sich aber völlig verbiegt, ist unwahrscheinlich. Zumal noch nicht ganz klar ist, was von der alten Parteilinie der CDU, die in den letzten Jahren stark in das westliche Paradigma des Regime-Changes eingebettet war, in Zukunft überhaupt übrig bleibt.

Merz: Russland ist Kriegspartei

Und was ist mit Friedrich Merz? Seit seinem Comeback in der Bundespolitik Ende 2018, als er zum ersten Mal für den Vorsitz der CDU kandidierte, wird der 64-Jährige als möglicher Kandidat für hohe politische Ämter gehandelt. Die Welt am Sonntag bot ihm mit der wöchentlichen Kolumne "Merz meint" eine Bühne, in der er auch zu außenpolitischen Themen schrieb.

Darin warnte er vor zu großer Nachsicht mit Russland und davor, es als Ordnungsmacht im Mittleren und Nahen Osten anzuerkennen. Russland sei dort Kriegspartei, schrieb Merz. Es habe Tausende Zivilisten in Syrien niedergemetzelt. Im gleichen Artikel nannte Merz den Iran ein "Terrorregime" und den Mord am iranischen General Qassem Soleimani auf Befehl des US-Präsidenten eine "Militäroperation". Der Artikel erschien im Januar, pünktlich zum Besuch Angela Merkels in Moskau, wo sie sich mit dem russischen Präsidenten über den bevorstehenden Libyen-Gipfel in Berlin abstimmen wollte.

Das schrieb jemand mit Kanzlerambitionen. In seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Atlantik-Brücke bezeichnete Merz den russischen Präsidenten zwar als ernstes Risiko für den Westen, gleichzeitig prangerte er 2014 aber auch an, dass die westlichen Staaten die Befindlichkeiten Russlands nicht berücksichtigt hätten. Und im selben Jahr sagte der CDU-Politiker rückblickend: "Ich selbst werfe mir vor, dass ich das 2001 im Bundestag vorgebrachte Angebot des russischen Präsidenten für eine europäisch-asiatische Freihandelszone ignoriert habe." Es sei eine der großen Fehlentscheidungen im Umgang mit Russland. Jahre später, im September 2019, sagte Merz in einem Tagesspiegel-Interview:

Wir müssen trotzdem (trotz der Sanktionspolitik, die er befürwortet – Anm. der Red.) alles dafür tun, um langfristig wieder ein besseres Verhältnis zu Russland zu bekommen. Vielleicht geht das erst nach Putin. Aber ohne Russland wird es auf Dauer keine politische Stabilität in Europa geben.

Merz bleibt also Transatlantiker, der gerne die US-Argumente in der Außenpolitik übernimmt, versucht aber, pragmatisch und etwas differenzierter zu sein. Differenzierter jedenfalls als die (Noch-)CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer, die es nicht geschafft hat, ein eigenes Verständnis für den Umgang mit Russland zu entwickeln und die noch vor wenigen Monaten mit einer devoten Werterhetorik und antirussischen Ressentiments in den Räumlichkeiten von Merz' Atlantik-Brücke für Befremden sorgte.

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