Meinung

Doppelte Standards: Frankreichs fragwürdiger Umgang mit einem Israel-Kritiker

Mit doppelten Standards kennt man sich im Westen aus – auch in Frankreich. Während das offizielle Paris das russische Vorgehen in der Ukraine in den schärfsten Tönen verurteilt, ist man dort gegenüber Israel kleinlaut. Besonders beschämend ist der Umgang mit einem französisch-palästinensischen Aktivisten.
Doppelte Standards: Frankreichs fragwürdiger Umgang mit einem Israel-KritikerQuelle: AFP © JOEL SAGET / AFP

Von Pierre Lévy

Barbaren, Wilde, Mörder, Kriegsverbrecher, ja sogar Verbrecher gegen die Menschlichkeit: Dies sind einige der freundlichen Epitheta, die westliche Politiker und die ihnen nahestehende Presse tagtäglich dem russischen Militär und deren politischen Führern anheften.

Diese offen zur Schau gestellte Empörung steht im Gegensatz zu der – wie könnte man sagen? – "Zurückhaltung", die sie gegenüber den israelischen Behörden gegenwärtig an den Tag legen. Dennoch führt die israelische Armee derzeit im Namen des Kampfes gegen den "Terrorismus" immer mehr Strafaktionen in den von ihr besetzten Gebieten durch und ermutigt sogar zu regelrechten Pogromen gegen die dort seit jeher lebende palästinensische Bevölkerung, etwa durch brutale Überfälle in Nablus und Dschenin, eine mörderische Siedlerexpedition in Huwara. Allein seit Beginn dieses Jahres wurden mehr als 60 Palästinenser getötet, Hunderte verletzt oder inhaftiert.

Und das ist jüngst wieder nur die Spitze eines Eisbergs. Seit nunmehr fast sechs Jahrzehnten – seit dem Sechstagekrieg 1967, eigentlich seit der Gründung des jüdischen Staates – leidet das palästinensische Volk unter der Besatzung, unter Demütigungen, Enteignungen, Vertreibungen und Zerstörungen.

Selbst die vor Ort tätigen EU-Diplomaten verfassen regelmäßig Berichte über die Rechtsverweigerung, die Grausamkeit und die Willkür der israelischen Behörden. Außerdem werden von der EU finanzierte Einrichtungen und Infrastrukturen regelmäßig von den Zahal (englisch Israel Defense Forces; IDF) wieder zerstört. Aber Brüssel finanziert den Wiederaufbau, der letztlich demselben Schicksal unterliegt.

Es zeichnet sich nun eine De-facto-Annexion der besetzten Gebiete ab, vorbereitet durch eine immer offensichtlicher werdende Apartheid-Situation. Und wenn zu viel Blut fließt, zeigt man sich – wie erst kürzlich wieder – in Washington, D.C. nur "äußerst besorgt". Auch in Brüssel drücken die EU-Granden eine "tiefe Besorgnis" aus. Da die EU jedoch "mit einer einzigen Stimme sprechen" will, passt sie sich in der Praxis denjenigen Mitgliedsstaaten an, die Tel Aviv am meisten unterstützen.

Es ist überflüssig zu erwähnen, dass niemand in Brüssel daran gedacht hat, dem palästinensischen Volk Waffen und Munition zu liefern, damit es sich verteidigen kann; oder Sanktionen gegen die israelische Regierung zu erlassen (der jetzt Minister mit ganz offen rassistischer Gesinnung angehören). Und selbst Länder wie Frankreich, die historisch gesehen am ehesten dazu neigen, eine "ausgewogene" Sichtweise zu vertreten, passen sich nun an.

Ein Beispiel dafür ist der Fall des französisch-palästinensischen Staatsbürgers Salah Hamouri. Der 37-jährige Anwalt, Sohn eines palästinensischen Vaters und einer französischen Mutter, verbrachte fast zehn Jahre in israelischen Gefängnissen, wo er für sein Engagement in Organisationen, die sich für die Sache des palästinensischen Volkes einsetzen, bestraft wurde. Offiziell war er verurteilt worden, weil er einen Anschlag auf einen Rabbiner geplant haben sollte und Mitglied der marxistischen Organisation PFLP sein sollte.

Wie die meisten Beobachter, so war auch die französische Diplomatie 2011 der Ansicht, dass sich der Prozess auf "keinerlei Beweise" stützte. Sie befürwortete offiziell die Freilassung ihres Staatsbürgers und die Respektierung seines Wunsches, in seiner Geburtsstadt Jerusalem in Freiheit zu leben.

Schließlich wurde Salah Hamouri im Dezember 2022 freigelassen, aber gegen seinen Willen (und gegen das Gesetz) nach Frankreich abgeschoben. Man hätte erwarten können, dass die französischen Behörden seine Ankunft zumindest sichtbar begrüßen. Das Gegenteil war der Fall. Die Polizei bedeutete seinen Angehörigen und Unterstützern, sich äußerst diskret zu verhalten.

Schlimmer noch: Als er eingeladen wurde, um in mehreren Debatten über die Situation in Palästina zu berichten, führte seine angekündigte Anwesenheit dazu, dass diese Initiativen verboten wurden. So sagte beispielsweise der ("grüne") Bürgermeister von Lyon eine in der Stadt geplante Veranstaltung mit der Begründung ab, dies sei eine "Bedrohung für die öffentliche Ordnung"; Organisationen, die sich selbst als Vertreter der "jüdischen Gemeinschaft" bezeichnen, hatten offen Druck in diesem Sinne ausgeübt. Selbst eine Veranstaltung, bei der er in einem akademischen Rahmen sprechen sollte, wurde gestrichen.

Wie soll man solche Verbote, die wahrscheinlich auf Initiative des Innenministeriums ergangen sind, bezeichnen? Salah Hamouri ist ein französischer Staatsbürger, der die gleichen Rechte und Pflichten wie jeder andere Bürger genießen sollte. Es sei denn, man geht davon aus, dass sich die israelische Gerichtsentscheidung – übrigens nach einem ohnehin zweifelhaften Prozess – auf das französische Hoheitsgebiet erstreckt, und warum dann nicht gleich auf die gesamte Europäische Union?

Wenn es um den Krieg in der Ukraine geht, führen die Mechanismen der EU zu einer antirussischen Eskalation, die sich nach den kriegslustigsten Ländern (wie Polen oder die baltischen Staaten) richtet. Und wenn es um den Nahen Osten geht, führen die gleichen Mechanismen zu einer Angleichung an die Länder, die Tel Aviv gegenüber am nachgiebigsten sind.

General de Gaulle dürfte sich im Grab umdrehen. Als er zwischen 1958 und 1968 an die Macht zurückkehrte, symbolisierte er damals ein Frankreich, das sich von der atlantischen Bevormundung befreite, eine Zusammenarbeit mit Moskau befürwortete und das "selbstbewusste und dominierende" Israel kritisierte.

Seitdem hat die EU ihre Spuren hinterlassen. Der Versuch, "mit einer einzigen Stimme zu sprechen", führt immer zum Schlimmsten.

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