Meinung

Umfrage: Nicht einmal jeder Fünfte glaubt, dass die Politik die Probleme in Deutschland lösen kann

Lebensstandard, Kultur und gute Arbeitsbedingungen schätzen die Deutschen an ihrem Land. Das ist eher ein Blick in die Vergangenheit. Die Gegenwart, ergibt die Umfrage, ist deutlich grauer. Die Zukunft allerdings wird nur noch düster gesehen.
Umfrage: Nicht einmal jeder Fünfte glaubt, dass die Politik die Probleme in Deutschland lösen kannQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Christian Spicker

Von Dagmar Henn

"Deutschland wird als starkes und auch als attraktives Land gesehen", schreibt die FAZ über das Ergebnis einer Allensbach-Umfrage (genau genommen schreibt eine Allensbach-Mitarbeiterin in der FAZ), die sich mit der Sicht der Deutschen auf ihr eigenes Land befasste. Wobei man vielleicht hinzufügen sollte: Die Umfrage fand vor dem Beschluss zu Panzerlieferungen und auch vor der Aussage von Bundesaußenministerin Baerbock, "wir" seien "im Krieg gegen Russland", statt. Denkbar, dass zumindest die Sicht auf die Zukunft sich in den letzten Tagen noch etwas weiter verdüstert hat.

Dass 83 Prozent den Lebensstandard und 84 Prozent das kulturelle Angebot als besondere Stärke sehen, wirkt angesichts der letzten drei Jahre etwas befremdlich, lässt sich aber dadurch erklären, dass die jüngsten Entwicklungen (wie die Folgen der Corona-Maßnahmen für den Kulturbereich) noch unter Ausnahme wahrgenommen werden und nicht als der künftige Alltag.

70 Prozent halten "faire Arbeitsbedingungen und eine hohe Leistungsbereitschaft" für eine deutsche Stärke; die übrigen 30 Prozent arbeiten vermutlich im Niedriglohnsektor und können von so etwas wie "fairen Arbeitsbedingungen" nur träumen. Erstaunlicherweise ist der Anteil der Befragten, die "soziale Absicherung gegen Armut" für eine besondere Stärke hielten, von 39 Prozent im Jahr 2019 auf 54 Prozent gestiegen. Dabei hat sich für die wirklich Armen des Landes nichts zum Besseren gewendet, im Gegenteil; aber die Geldverteilungen unter Corona und die halbherzige Bekämpfung selbstgemachter Energiepreisinflation haben offenkundig Eindruck gemacht.

Das Gesundheitssystem, das 2017 noch 81 Prozent als eine Stärke sahen, sehen jetzt bereits 39 Prozent als Schwachstelle, und 49 Prozent erwarten, dass sich der Mangel an Pflegepersonal weiter verschärft. Auch sonst geht mittlerweile die Hälfte der Befragten davon aus, dass sich der Zustand des Landes weiter verschlechtert, und nur noch 14 Prozent glauben an die alte Merkelsche Beschwörung, man werde die Krise stärker wieder verlassen.

Am meisten störten (72 Prozent) die mangelnde Verlässlichkeit des ÖPNV, vermutlich vor allem der Bahn; fehlende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung (68 Prozent) und die Verfügbarkeit von Medikamenten (68 Prozent); mangelnde Effizienz von Ämtern und Behörden (62 Prozent) und die technische Ausstattung der Schulen (61 Prozent). Leider lässt die Darstellung der Ergebnisse durch Allensbach nicht erkennen, wie viele Mehrfachnennungen möglich waren; ebenso wie zu den meisten Zahlen der Vergleich mit den Vorjahren fehlt.

Dass die Wirtschaft als weitaus leistungsfähiger gesehen wird als der Staat, sollte man mit einer Prise Salz genießen. Schließlich wurde die staatliche Verwaltung in den vergangenen dreißig Jahren zwischen Brüsseler Überbürokratie und neoliberalem Sparwahn geradezu zerrieben. Aber wenn man die Investitionsquote im verarbeitenden Gewerbe betrachtet, die im letzten vorliegenden Jahr 2021 sogar gestiegen war, und dann einen Mittelwert von 3,1 liest, ist auch das nicht wirklich überzeugend. Als Daumenregel ist nach spätestens 30 Jahren selbst bei Gebäuden und Maschinen eine Überholung fällig, die dem Gesamtwert entspricht. Eine Investitionsquote von 3,3 wäre also das absolute Minimum für einen Ersatz des Vorhandenen. Modernisierungsinvestitionen sind in der Regel teurer, und manche Teile der Ausrüstung (IT beispielsweise) haben einen Zyklus, der weit kürzer ist als 30 Jahre.

Im produzierenden Gewerbe sieht es nicht besser aus. In der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verbirgt sich das unter dem Stichwort "Kapitalstock"; dabei geht es um die Bruttoanlageninvestitionen. Brutto heißt allerdings, sie sind nicht um die Preissteigerung bereinigt. Wenn man die Zeit von 2000 bis 2021 betrachtet, beträgt der ganze Zuwachs zwei Prozent ... was bedeutet, dass innerhalb dieser Zeit ein Wertrückgang stattfand. Um es für Laien zu formulieren: Die deutsche Wirtschaft fährt weitgehend auf Verschleiß, und das schon lange Zeit. Nicht anders als die öffentliche Hand auch, was jeder selbst am Zustand der Straßen überprüfen kann.

Über diese Daten wird allerdings nicht geredet, und solange der Status "Exportweltmeister" oder zumindest ein massiver Außenhandelsüberschuss zu verzeichnen war, ging das noch gut. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass weite Teile der deutschen Wirtschaft sich nur als moderner verkaufen können als der Staat, es aber nicht sind.

Und irgendwie sickert es dann doch durch, dass vieles nicht in Ordnung ist – nur 17 Prozent der Befragten der Allensbach-Umfrage waren zuversichtlich, dass die Politik die Probleme und Herausforderungen in den Griff bekommt. "Die Voraussetzungen für die Umsetzung politischer Ziele werden zu wenig berücksichtigt, und dies führt zunehmend zu Zweifeln an der Leistungsfähigkeit des Staates und der Qualität der politischen Entscheidungen." Das ist eine zutreffende Formulierung, auch wenn sie die Verhältnisse noch etwas beschönigt. Man denke nur an die verordnete Umstellung auf Elektrofahrzeuge, für die weder wirklich taugliche Fahrzeuge vorhanden sind noch die erforderlichen Leitungen und Ladestationen, vom nötigen Strom ganz zu schweigen.

Ein ähnliches Ergebnis protokollierte übrigens auch die jüngste Erwerbstätigenbefragung des WSI. In diesem Fall wurden (notwendigerweise erwerbstätige) Mütter befragt, ob sie Vertrauen in die Bundesregierung hätten. Gerade 1 Prozent antwortete "sehr viel"; 12 Prozent "viel", 39 Prozent "mittelmäßig", aber 27 Prozent "wenig" und ganze 22 Prozent "überhaupt nicht".

Die Allensbach-Autorin kommt zu folgendem Fazit: "Angesichts der großen Transformationsprozesse ist es für die Politik jedoch eminent wichtig, dass die Bürger der Ratio und Kompetenz politischer Entscheidungen vertrauen und einen Staat erleben, der Entscheidungen qualifiziert trifft, effizient umsetzt und generell leistungsfähig ist. Dieses Vertrauen erodiert seit Jahren."

Auch wenn die Wahrnehmung der Öffentlichkeit ihre Lücken besitzt, dieser Verlust an Vertrauen ist das Ergebnis realer Handlungen oder, vielfach zutreffender, realen Nichthandelns. Man sollte diese Daten regelmäßig jedem deutschen Politiker um die Ohren hauen, der wieder einmal behauptet, die "Delegitimierung des Staates" sei das Ergebnis "russischer Propaganda", und die Verfassungsschutzämter auf jene hetzt, die die politische Kaste für unfähig halten.

Wenn Allensbach gegenüber 50 Prozent der Befragten bestätigen, sie hätten schon erlebt, dass Ämter oder Behörden nicht besetzt waren oder sehr lange für eine Bearbeitung brauchten, handelt es sich um die Beschreibung einer Tatsache. Ein Staat, in den nur 17 Prozent seiner Bürger Zuversicht setzen, ist delegitimiert. Der Mehrheit der Medien fehlt nur der Mut, dies auszusprechen.

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