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Donald Trump und die "Schulden" der NATO-Europäer

Donald Trump erzählt viel, wenn der Wahlkampf lang ist. Vor seinen Anhängern sprach er wieder über eines seiner Lieblingsthemen: die Europäer müssten noch mehr Geld für die NATO ausgeben, sonst … Lassen wir uns die Freude an der hysterischen Reaktion der Herrschaften in Brüssel darauf nicht verderben.
Donald Trump und die "Schulden" der NATO-EuropäerQuelle: Gettyimages.ru © Steve Parsons-WPA Pool

Von Pierre Lévy

Die Szene spielt am 10. Februar in South Carolina (USA). Donald Trump befindet sich im Wahlkampf für die Vorwahlen der Republikanischen Partei, die er mit Sicherheit gewinnen wird, aber vor allem für die US-Präsidentschaftswahlen Anfang November, die ihn – vielleicht – wieder zurück ins Weiße Haus bringen könnten.

Vor seinen aufgeheizten Anhängern spricht der ehemalige US-Präsident über eines seiner Lieblingsthemen: Die Europäer müssten mehr Geld für die transatlantischen Militärausgaben bereitstellen. Er erzählt von einem – offensichtlich erfundenen – Gespräch, das er mit einem führenden Politiker des alten Kontinents geführt haben will. Auf die Frage, ob "Uncle Sam" dessen europäisches Land im Falle einer russischen Offensive schützen würde, habe er geantwortet:

"Wenn Sie nicht bezahlt haben, nein, ich würde Sie nicht schützen. Ich würde sie (die Russen) sogar ermutigen, zu tun, was sie wollen. Sie müssen Ihre Rechnungen bezahlen."

Innerhalb weniger Stunden geht dieser Satz um die Welt und löst in den westlichen Staatskanzleien ein Erdbeben aus. Der ehemalige US-Präsident galt schon vorher in proatlantischen Kreisen als Schreckgespenst. Nun nehmen die schlimmsten Albträume dieser Leute Gestalt an. Diese Albträume hingen wie ein großes Schreckgespenst über den großen Treffen, die in den Tagen danach stattfanden: über dem NATO-Ministertreffen wie über der Münchner Sicherheitskonferenz, die alljährlich von der westlichen politisch-militärisch-diplomatischen Elite besucht wird.

Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat ein potenzieller Führer der "freien Welt" damit gedroht, seine Verbündeten im Stich zu lassen oder sie sogar "den Russen auszuliefern". Natürlich kennt jeder die provokative Seite der Figur Trump, zumal diese ominösen "Rechnungen", die die europäischen Staaten angeblich nicht begleichen, gar nicht existieren. Donald Trump pocht in Wirklichkeit auf eine (politisch-propagandistische, keineswegs juristische) Verpflichtung, die jeweiligen nationalen militärischen Anstrengungen auf mindestens 2 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erhöhen, welche die NATO-Mitglieder einst im Jahr 2014 eingegangen waren.

Und vor allem ist das nachgespielte Szenario rein imaginär. Aber allein die Tatsache, dass es erwähnt wird, zerstört die Glaubwürdigkeit des Atlantischen Bündnisses, eine Glaubwürdigkeit, die auf einem erhofften Automatismus der gegenseitigen militärischen Verpflichtung im Falle einer Aggression beruht. Wenn Zweifel aufkommen, wird diese Glaubwürdigkeit völlig untergraben.

Unter diesen Umständen war der NATO-Generalsekretär daher einer der ersten Politiker, der rasch reagierte:

"Jede Andeutung, dass die Alliierten sich nicht gegenseitig verteidigen könnten, untergräbt die Sicherheit von uns allen, einschließlich der der Vereinigten Staaten", hämmerte Jens Stoltenberg. Wie zur Selbstvergewisserung fügte er noch hinzu: "Ich bin überzeugt, dass die Vereinigten Staaten ein starker und engagierter Verbündeter in der NATO bleiben werden, egal wer die Präsidentschaftswahlen gewinnen wird."

Josep Borrell, der Chefdiplomat der EU, wollte dem nicht nachstehen:

"Ein Militärbündnis kann nicht nach der Laune des US-Präsidenten funktionieren."

Der polnische Verteidigungsminister – Warschau ist für seine ultraatlantische Verbundenheit wohlbekannt – stöhnte seinerseits:

"Das NATO-Motto 'Einer für alle, alle für einen' ist eine konkrete Verpflichtung. Die Glaubwürdigkeit der verbündeten Länder zu untergraben, bedeutet eine Schwächung der gesamten NATO."

Der Präsident des Europäischen Rates behauptete seinerseits, dass die Erklärungen von Donald Trump "nur Putins Interessen dienen" würden. Aber wie andere europäische Führer nutzte auch Charles Michel die Gelegenheit, um nun sogleich das "Europa der Verteidigung" voranzubringen. Der belgische Liberale, dessen Denkweise derjenigen von Emmanuel Macron ähnelt, sagte, dass all dies "erneut die Notwendigkeit unterstreicht, dass die EU dringend ihre strategische Autonomie ausbauen und in ihre Verteidigung investieren muss". Annalena Baerbock als deutsche Außenministerin drückte sich etwas anders aus, stimmte dem aber sinngemäß zu.

Dieses Argument wurde auch von dem EU-Kommissar Thierry Breton vertreten. Der Franzose, der in Brüssel nicht nur für den Binnenmarkt, sondern auch für Rüstung zuständig ist, meinte, dass man "nicht alle vier Jahre eine Münze werfen kann, um unsere Sicherheit in Abhängigkeit von den amerikanischen Wahlen zu gewährleisten". Seine Schlussfolgerung lautete: Die EU müsse "ihre Ausgaben für Verteidigung und militärische Fähigkeiten erhöhen".

Während man in Brüssel (mit Bedauern) die Perspektive einer EU-Armee für unerreichbar hält (ebenso wie eine EU-Atomwaffe, wie sie die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl dummerweise zur Diskussion stellte und damit einen Aufschrei selbst unter ihren Genossen auslöste), wird die Idee einer "Europäischen Verteidigungsunion" hingegen zur einer Marotte dieser aktuellen Periode. Im Klartext formuliert, ist damit eine Strukturierung des militärisch-industriellen Komplexes auf EU-Ebene gemeint.

Herr Breton war jedoch einer der wenigen, die darauf hinwiesen, dass man dies von Trump "schon einmal gehört" habe, insbesondere während seiner Präsidentschaft. Denn es stimmt, dass die Forderung der USA, die Europäer stärker zur Kasse zu bitten, schon viel früher erhoben wurde – unter anderem, wenn auch höflicher, von Barack Obama – und sie ist nach wie vor ein häufiges Thema auf den Gipfeltreffen des Militärbündnisses.

Im Übrigen hat Herr Stoltenberg gerade daran erinnert, dass die Verpflichtung von 2 Prozent des BIP nunmehr bereits von achtzehn der einunddreißig Mitgliedsstaaten eingehalten wird. In Berlin hatte man sich lange gegen dieses Ziel gesträubt, aber die Regierung unter dem Sozialdemokraten Scholz hat nun alle diese Vorbehalte aufgegeben. Was Emmanuel Macrons Frankreich betrifft, so plant man dort, die mehrjährigen militärischen Anstrengungen für den Zeitraum 2024 bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zum vorherigen Zeitraum zu erhöhen.

Wie sind unter diesen Umständen die von Donald Trump ausgesprochenen Drohungen zu bewerten? Die Interpretation muss zweifach erfolgen.

Einerseits gibt es in Washington, D.C. eine gewisse Konstanz in den Beziehungen zu den europäischen Vasallen der USA. Zwar nicht so sehr in Bezug auf den Ausgleich der "finanziellen Lasten" an sich, sondern vielmehr die industrielle und kommerzielle Rivalität betreffend, die sich im Hintergrund zwischen den Waffenhändlern auf beiden Seiten des Atlantiks abspielt. Unter dem Deckmantel der Forderung, "Rechnungen zu bezahlen", erwartet Trump vor allem, dass die europäischen Länder ihre Bestellungen bei den großen US-Rüstungskonzernen erhöhen. Diese Geisteshaltung wird auf jeden Fall drängend bleiben.

Umgekehrt hoffen die europäischen Firmen darauf, ihren Anteil an den Märkten für Militär- und Rüstungsgüter zu erhalten, die mit zunehmenden geopolitischen Spannungen in der Welt schließlich immer größer und damit auch noch profitabler werden. Vor diesem Hintergrund sind die Forderungen des französischen Präsidenten und einiger anderer europäischer Politiker nach einer "europäischen Souveränität" zu verstehen.

Andererseits gibt es eine Dimension, die mit dem Wahlkampf in den USA zusammenhängt, den Donald Trump zu gewinnen hofft. Er hat genug Gespür für die Stimmung unter den Wählern, um verstanden zu haben, dass ein Großteil von ihnen innenpolitischen und vor allem sozialen Fragen den Vorrang gibt, anstatt zig Milliarden US-Dollar in nicht gewinnbaren Kriegen, insbesondere in der Ukraine, versenkt sehen zu wollen. Die Mainstream-Medien bezeichnen dies mit zorniger Verachtung als eine "isolationistische Versuchung" der US-Bürger.

Innerhalb von zwei Jahren hat der Westen bereits rund 100 Milliarden Euro für die militärische Unterstützung der Kiewer Clique ausgegeben. Die Staats- und Regierungschefs der EU wären also gut beraten, sich dafür zu interessieren, was auch "ihre (eigenen) Bürger" über die Fortsetzung dieses monumentalen Aderlasses denken, vor allem zu einem Zeitpunkt, an dem die verschärfte Haushaltsdisziplin ihren brutalen Wiedereintritt macht.

In der Zwischenzeit terrorisiert die Herrschaften in Brüssel jenes Gespenst, dass der nächste US-Präsident der NATO die kalte Schulter zeigen könnte, selbst wenn das höchst hypothetisch ist. Lassen wir uns wenigstens die Freude daran nicht verderben.

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