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Zielscheibe Kultur: UK-Kunstexpertin kritisiert Unart, russische Maler als "Ukrainer" darzustellen

Eine "Umschreibung der Geschichte" und "Auslöschung der kulturellen Identität" seien die Versuche der großen Museen, russische Künstler als Ukrainer einzustufen, um der politischen Lage gerecht zu werden. Diese Meinung vertritt die renommierte Kunstexpertin Jo Vickery.
Zielscheibe Kultur: UK-Kunstexpertin kritisiert Unart, russische Maler als "Ukrainer" darzustellenQuelle: Sputnik © РИА Новости

In den letzten Monaten haben zunächst britische und dann US-Museen damit begonnen, russische Maler und russische Kultur zu "canceln". Edgar Degas' "Russische Tänzerinnen" waren die ersten Leidtragenden: Das Gemälde, das der Meister des Impressionismus unter dem Einfluss von Sergei Djagilews "Ballets Russes" malte, wurde von der National Gallery of London willkürlich umbenannt. Aus "Russische Tänzerinnen" wurde "Ukrainische Tänzerinnen". Wie die britische Zeitung The Guardian schrieb, wurde diese Entscheidung vom Museum unter dem Einfluss ukrainischer Nutzer sozialer Netzwerke getroffen – was an sich schon sehr ungewöhnlich ist.

Der ehemalige russische Kulturminister Michail Schwydkoi, jetzt Sonderbeauftragter des russischen Präsidenten für internationale kulturelle Zusammenarbeit, nannte die Umbenennung sogar "politischen Kretinismus". In einem Interview mit der Nachrichtenagentur RIA Nowosti fügte er hinzu, dass die Situation als eine Verletzung des Urheberrechts des Künstlers und als Beweis für Kurzsichtigkeit angesehen werden könnte. Schwydkoi bemerkte dazu:

"Streng genommen ist dies ein weiteres Beispiel für politischen Kretinismus, ich entschuldige mich für die Härte. Denn erstens wird damit das Urheberrecht des Künstlers verletzt. Zweitens könnte man genauso gut alle russischen Schriftsteller als ukrainisch bezeichnen."

Aber damit nicht genug. Nach den britischen Museen folgten auch die US-Amerikaner: Das Metropolitan Museum of Art in New York begann, die Künstler selbst umzutaufen. So wurden in den Beschreibungen des Museums die russischen Maler Ilja Repin, Archip Kuindschi und Iwan Aiwasowski zu Ukrainern.

"Die Kultur ist zur Zielscheibe geworden", stellte die renommierte britische Kunstkritikerin Jo Vickery in ihrem Beitrag für Art Focus Now fest. "Im vergangenen Jahr gab es zahlreiche Fälle, in denen russisches Kulturerbe von Museen und Konzerthäusern in Europa und Nordamerika 'gestrichen' wurde. Und nun hat das Metropolitan Museum of Art in New York – offenbar auf Druck von Kommentatoren in den sozialen Medien – beschlossen, drei Künstler aus seiner Sammlung als Ukrainer einzustufen: Iwan Aiwasowski (1817–1900), Archip Kuindschi (1842–1910) und Ilja Repin (1844–1930)." Vickery nannte so eine Kategorisierung "einseitig" und "primitiv". Die Expertin, die jahrelang für das Auktionshaus Sotheby's tätig war und als eine der führenden Spezialistinnen für russische und sowjetische Kunst gilt, erklärte:

"Eine flüchtige Suche auf der Webseite des Metropolitan Museum of Art zeigt schnell, dass die Kategorisierung der Künstler nach Nationalität im Allgemeinen unterentwickelt und uneinheitlich ist. So wird beispielsweise Louise Bourgeois, die in Frankreich geboren und ausgebildet wurde und erst im Alter von 27 Jahren in die USA einwanderte, ausschließlich als US-Künstlerin beschrieben. Anish Kapoor wird als britischer Künstler beschrieben, obwohl er in Indien geboren wurde. Marc Chagall wird hier als Franzose betrachtet. Und so weiter. Alle drei haben sich zwar in den Einwanderungsländern assimiliert und offiziell deren Staatsbürgerschaft angenommen, aber durch eine derart einseitige Kategorisierung verlieren wir ihre wahren Wurzeln aus den Augen. Das Metropolitan Museum of Art unterscheidet sich von anderen Museen von Weltrang durch seinen einseitigen Ansatz. In letzter Zeit wird generell bei Künstlern, die entweder ihr Heimatland dauerhaft verlassen oder einen bedeutenden Teil ihrer Karriere im Ausland gearbeitet haben, immer häufiger sowohl auf ihren Geburtsort als auch auf das Land verwiesen, das ihre neue Heimat geworden ist."

Im New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) zum Beispiel wird der Geburtsort des Künstlers unmittelbar nach seiner Staatsangehörigkeit genannt, so Vickery. Hier wird Chagall als "ein in Weißrussland geborener Franzose" bezeichnet. Das Centre Pompidou in Paris scheint das genaueste der führenden staatlichen Kunstmuseen zu sein, wenn es um die Angabe der Herkunft und Nationalität von Künstlern geht. Bei der Angabe des Geburtslandes vergisst das Pompidou nicht einmal, "Russisches Reich" anstelle von "Russland" zu nennen, betont die britische Kunstexpertin, die allerdings bemerkt:

"Aber selbst mit diesem umfassenden Ansatz bleibt die Kategorisierung von Künstlern nach Staatsangehörigkeit, Nationalität oder Geburtsort ein Minenfeld, und viele Museen ziehen es verständlicherweise vor, dies überhaupt nicht zu tun. Das Tate beispielsweise bezieht seine eigenen Mitarbeiter nicht in die Erstellung von Künstlerbiografien ein, sondern übernimmt sie direkt aus Wikipedia."

In Bezug auf das Metropolitan Museum of Art stellte Vickery fest, dass die Entscheidung, drei berühmte russische Künstler als Ukrainer zu bezeichnen, eindeutig politisch motiviert ist. Sie bezeichnete dies als eine Primitivität, "die zur Auslöschung der nationalen und kulturellen Identität beiträgt, der die Künstler angehören oder mit der sie sich – manchmal freiwillig – verbinden". Die Kunstexpertin warnt:

"Wenn man sie ausschließlich als Ukrainer ohne jeglichen Bezug zu Russland definiert, werden sie im Wesentlichen aus dem realen Kontext herausgenommen, in dem sie gelebt und sich beruflich entwickelt haben. Das sieht wie eine Umschreibung der Geschichte aus."

Denn alle drei wurden im Russischen Reich geboren. Repin kam zwar im ukrainischen Tschugujew zur Welt – das damals Teil des Russischen Reiches war –, lebte, studierte und arbeitete aber in Russland. "Repin betrachtete sich selbst als Russe", betont Vickery mit für die heutigen Verhältnisse erstaunlichen Ehrlichkeit, "blieb aber der Kultur der ukrainischen Kosaken tief verbunden. Um seine Wurzeln und seinen Platz in den miteinander verflochtenen Kulturen Russlands und der Ukraine (und des Russischen Reiches, zu dem sie gehörten) sowie seinen Beitrag zur russischen Kultur des 19. Jahrhunderts angemessen zu beschreiben, wäre es daher weitaus zutreffender, ihn als 'in der Ukraine geborenen russischen Künstler' zu bezeichnen."

Kuindschi, der ethnisch gesehen eigentlich ein Grieche war, zog mit Anfang 20 nach Sankt Petersburg und studierte an der Kaiserlichen Kunstakademie. Er verband seine Karriere und sein Leben ebenso wie Repin eng mit Moskau und Sankt Petersburg, erzählt Vickery. Die Geschichte von Aiwasowski ist noch komplizierter, um ihn einfach als Ukrainer zu bezeichnen, so die Expertin:

"Von allen Künstlern des 19. Jahrhunderts, die mir in den Sinn kommen, ist es am schwierigsten, Iwan Aiwasowski, geboren als Howhannes Aiwasjan, in eine klare Kategorie einzuordnen. Russland, Armenien und die Ukraine (und sogar die Türkei!) beanspruchen ihn als Teil ihres kulturellen Erbes. Anton Tschechow, ein Meister der lakonischen Sprache, betrachtete ihn als Armenier, und jetzt bezeichnet das Kunstportal Artnet Aiwasowski als armenisch-russischen Künstler, obwohl er nicht in Armenien geboren wurde und dort nie gelebt hat. Im Gegensatz zu Repin und Kuindschi, die nach Sankt Petersburg zogen (Repin lebte übrigens einen Teil seines Lebens in Moskau) und Teil der russischen Kunstwelt wurden, entschied sich Aiwasowski, in seiner Heimat Feodosija auf der Krim zu bleiben."

Wie Richard Black vom Schiller-Institut der Vereinten Nationen in New York gegenüber der Nachrichtenagentur RIA Nowosti den Vorfall mit dem Metropolitan Museum of Art kommentierte, "liegt die Schönheit der Menschheit in der Tatsache, dass sie sich in der Vielfalt verschiedener Kulturen entwickelt hat". Black bezeichnete die Aktion des Museums als einen Angriff auf die Wahrheit, "auf eine Idee, auf die Zivilisation, auf die Rolle, die Kunst und Wissenschaft in der Zivilisation spielen", und betonte:

"Russland, die russische Zivilisation, ist definitiv eine der vielen außergewöhnlichen Zivilisationen, die in den letzten 1.000 Jahren zur Suche nach Wahrheit in der bildenden Kunst beigetragen haben. Diese Angriffe auf eine Zivilisation, in diesem Fall Russland, durch Lügen und Versuche, die US-Bevölkerung einer Gehirnwäsche zu unterziehen, sind also in Wirklichkeit ein Angriff auf alle Kulturen.

Die islamische, die westeuropäische, die chinesische, die vietnamesische – alle Kulturen haben sich über Tausende von Jahren entwickelt und einzigartige Beiträge zum Verständnis grundlegender Prinzipien, grundlegender Wahrheiten geleistet. Dass die US-Behörden einer Institution wie dem Metropolitan Museum Lügen über führende Beispiele der russischen Kultur auftischen, ist daher eine Verhöhnung der gesamten Kultur, der gesamten Kunst und der gesamten Wissenschaft."

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