Deutschland

"Gräuelpropaganda wie zur Nazi-Zeit" – Widerstand gegen die Ausstellung "Russian War Crimes"

Studentenvertreter üben scharfe Kritik an der Präsidentin und an Professoren der Berliner Humboldt-Universität. Auslöser war die Wanderausstellung mit dem Titel "Russian War Crimes", die im Foyer gezeigt wurde. Die Aktion ist ein gemeinsames Werk der ukrainischen Regierung und des Oligarchen Wiktor Pintschuk.
"Gräuelpropaganda wie zur Nazi-Zeit" – Widerstand gegen die Ausstellung "Russian War Crimes"

Eine Fotoausstellung mit dem Titel "Russian War Crimes" in der Humboldt-Universität (HU), die zwischen 4. und 16. September im Foyer im Hauptgebäude zu sehen war, sorgte für Empörung unter einer Gruppe von Studenten und Mitarbeitern der Uni. Mitglieder der Organisation International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) haben in einem öffentlichen Statement am Montag massive Kritik an der Ausstellung geübt, wie die Berliner Zeitung berichtete.  

Im Mittelpunkt der Wanderausstellung stehen Opfer des Krieges in der Ukraine. Gezeigt werden trauernde Menschen, provisorische Gräber, Friedhofe, zerstörte Wohnhäuser und Infrastruktur. Auch Leichen und Körperteile werden gezeigt. Außerdem werden auf einer riesigen Ukraine-Karte aktuelle Statistiken zu zivilen Verlusten je nach Gebiet aufgeführt. Und in einem separaten Raum läuft in Dauerschleife eine zehnminütige Videocollage mit Hunderten wechselnder Bilder, die nur für Bruchteile einer Sekunde eingeblendet werden: Rauchsäulen, Ruinen, Feuer, zerschossene Autos und grausam zugerichtete Leichen. An all diesen Gräueln sei allein Russland schuld, so der Begleittext. 

"Die Ausstellung hat keinen wissenschaftlichen Wert, sondern dient dazu, die russische Seite zu dämonisieren und den grauenhaften Stellvertreterkrieg in der Ukraine mit weiteren Waffenlieferungen zu befeuern", heißt es in dem Schreiben, das von Gregor Link, einem Mitglied der Gruppe, verfasst wurde. Explizite Kritik richtete sich an die Hochschulprofessoren Jörg Baberowski und Herfried Münkler. 

Die IYSSE erklärt auf Flugblättern, dass "der deutsche Militarismus nach seinen Verbrechen in zwei Weltkriegen" erneut Anstalten mache, "die Ukraine unter seine Kontrolle zu bringen, um Russland eine strategische Niederlage zuzufügen". Um diese Ziele zu erreichen, nähmen deutsche Eliten auch die Gefahr eines Atomkrieges "willentlich" in Kauf, so Gregor Link.

Das Flugblatt mache auf das Ziel der Ausstellung aufmerksam, die der "abnehmenden Unterstützung für Waffenlieferungen" entgegenwirken solle, um "mehr und viel schneller Waffen" an das ukrainische Militär zu liefern. Dies hatten laut IYSSE-Mitglied Link HU-Präsidentin Julia von Blumenthal, eine ehemalige Professorin der Bundeswehr, und der ukrainische Multimilliardär Wiktor Pintschuk, der die Ausstellung finanziert, bei der Eröffnung erklärt. "Russian War Crimes" sei keine Anti-Kriegs-Ausstellung, sondern eine Pro-Kriegs-Ausstellung, macht Link in einem auf Youtube geteilten Video deutlich.  

Mit ca. 30.000 Studierenden aus der ganzen Welt zählt die Humboldt-Universität zu den größten und bekannten Universitäten Deutschlands. Aber konnte die Ausstellung die gewünschte Wirkung auf Studenten und Mitarbeiter der Universität erzeugen? IYSSE-Mitglieder sprachen mit ihnen zuvor unbekannten Passanten auf dem Campus der Universität. Diese zeigten sich "schockiert" und empört, als sie von den Hintergründen der Ausstellung erfuhren, schreibt IYSSE-Reporter Link in einem Artikel auf wsws.org.

So zeigte sich ein Student verstört darüber, dass die Ausstellung im Eingangsbereich der Universität eingerichtet wurde, wo "jeder Erstsemester hindurch muss und wo es das erste ist, was man von dieser Uni sieht". Ein Mitarbeiter der Universität trat auf die IYSSE-Mitglieder heran, um ihnen mitzuteilen, dass er "mit jedem Wort in dem Flugblatt einverstanden" sei. Er warnte, dass die Universitätsleitung versuchen könnte, die Flyer zu verbieten, obwohl die IYSSE seit vielen Jahren im Studentenparlament der HU vertreten ist.

Die IYSSE-Mitglieder erklärten, dass die Bilder in jedem Fall eng mit dem ukrainischen Militär abgestimmt seien und die Kriegspolitik der Bundesregierung unterstützen sollen. Eine Studentin stellt fest: "Ich glaube, die Interessen der Waffenlobby sind schon ein wesentlicher Faktor in diesem Krieg. Weitere Waffenlieferungen machen es schwierig, den Krieg zu beenden."

"Auch die US-Regierung unterstützt das ukrainische Militär", sagte Christine, eine Masterstudentin aus den USA. "Ohne diese Unterstützung würde die ukrainische Regierung schon lange nicht mehr existieren. Aber ich denke, es ist problematisch, wenn Deutschland jetzt die Führung übernimmt. Das ist sicherlich nicht im Interesse der Arbeiterklasse in Europa."

Einer der Passanten war ein Bibliothek-Besucher aus Spanien, der in Berlin als Analyst arbeitet. Er sagte: "Ich hinterfrage die deutschen Absichten in der Ukraine. Ich denke, in diesem Krieg geht es um politische und territoriale Interessen, auch gegen Russland. Es gibt andere Wege, den ukrainischen Menschen zu helfen. Die Regierung sollte keine Waffen schicken, sondern Menschen, die vor Ort tatsächlich helfen können."

Auch andere im Artikel zitierte Gesprächspartner äußerten sich ähnlich. "Schon in der Vergangenheit haben wir als IYSSE-Hochschulgruppe große Unterstützung für unsere antimilitaristischen Positionen erhalten", sagt Link auf RT-Anfrage. "Wir wurden im Juli zum neunten Mal in Folge ins Studierendenparlament (StuPa) gewählt." Er selbst studiert an der Humboldt-Universität Informatik, Mathematik und Physik. "Mein politisches Engagement wird von meinen Freunden begrüßt", merkt der Aktivist an. 

In einem anderen Artikel, der ebenso auf der Webseite wsws.org erschien, setzten sich zwei andere Autoren, Tamino Dreisam und Christoph Vandreier, inhaltlich mit der Ausstellung aus. Sie bemängeln, dass in der Opferstatistik des Krieges die etwa 3.400 Zivilisten, die von 2014 bis 2022 im Donbass umgebracht wurden, nicht mitaufgeführt werden. 

"Bei den Bildern, die gezeigt werden, ist die behauptete russische Urheberschaft des Grauens zudem oft nicht abschließend geklärt, sondern Teil der Propaganda auf beiden Seiten. Das gilt für die Opfer der Zerstörung des Kachowka-Staudamms, der Bombardierung einer Geburtsklinik in Mariupol und die zahlreichen zerstörten Wohngebäude, die in der Ausstellung zu sehen sind", so die Autoren weiter. 

Deshalb seien die Bilder oft kontextlos und setzten stattdessen auf klassische Stilisierungen, wie etwa eine Pietà-Inszenierung einer alten Frau mit einem Kind in ihren Armen, die aus den überfluteten Gebieten flieht. Auch die anfangs erwähnte Videocollage wird als ein bloßer Emotionserzeuger kritisiert:

"Ihren abstoßenden Höhepunkt findet die Ausstellung in einem Video, das großflächig an die Wand projiziert wird. Zehn Minuten lang werden bis zu zehn Bilder pro Sekunde mit Leichen, zerstörten Gebäuden und anderen Kriegsfolgen abgespielt, die so kurz zu sehen sind, dass keinerlei Raum dafür besteht, sich mit dem Kontext zu beschäftigen oder auch nur das ganze Bild zu erfassen."

Diese Art der Gräuelpropaganda knüpfe an eine üble Tradition der Nazis an, die die Handlungen der Roten Armee entweder erfanden oder sie aus ihrem Kontext lösten, um den Feldzug gegen die Sowjetunion propagandistisch zu rechtfertigen. IYSSE-Aktivisten machen deutlich:

"Dass sich die herrschende Klasse nun wieder dieser Methoden bedient, ungeklärte Ereignisse vereindeutigt, völlig einseitig und kontextlos darstellt und den Gegner als Bestie zeichnet, liegt daran, dass sie auch wieder an die gleichen Kriegsziele anknüpft, die Deutschland bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg verfolgt hat: die Plünderung der Ukraine und die Unterwerfung Russlands."

Die Humboldt-Universität sieht hingegen die Ausstellung mit dem Hinweis auf die "unverminderte Härte", mit der Russland seinen "Angriffskrieg gegen die Ukraine" führt, als gerechtfertigt an. "Als Humboldt-Universität stehen wir weiterhin solidarisch an der Seite der Ukraine", heißt es in der offiziellen Beschreibung unter Berufung auf von HU-Präsidentin von Blumenthal. Man zeige daher die Ausstellung "Russian War Crimes" und wolle die "Auseinandersetzung mit diesem belastenden Thema, sowohl wissenschaftlich als auch im Diskurs mit der breiten Öffentlichkeit". Die Fotoausstellung "Russian War Crimes" wurde erstmals 2022 während des Weltwirtschaftsforums in Davos gezeigt. Seither war sie unter anderem in Brüssel, Kiew, New York, London und im Juli 2023 auf der Münchner Sicherheitskonferenz zu sehen.

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