Tangerhütte: Kindertagesstätte "Anne Frank" soll nun doch ihren Namen behalten – vorerst
Noch bis Ende vergangener Woche plante die Stadtverwaltung von Tangerhütte, die nach Anne Frank benannte Kindertagesstätte umzubenennen. Die Kita, die seit ihrem Bau vor 53 Jahren, also bereits zu DDR-Zeiten, diesen Namen trug, solle nun "Weltentdecker" heißen, berichtete am Freitag die Magdeburger Volksstimme. Diese Entscheidung sei vom Kuratorium der Kindertagesstätte getroffen worden.
Die Pläne, die städtische Kita „Anne Frank“ in Tangerhütte umzubenennen, riefen nicht nur beim Internationalen Auschwitz Komitee Bestürzung hervor. Jetzt meldet der Bürgermeister: Die Namensänderung steht erstmal nicht mehr an. https://t.co/0kL3nWbqnD
— Frankfurter Allgemeine (@faznet) November 6, 2023
Daraus wird nun nichts. Wie die Stadt in einer Pressemitteilung am gestrigen Montag schrieb, stünde die Entscheidung über eine solche Namensänderung "aktuell nicht an". In den "vergangenen 14 Monaten" habe die Kindertagesstätte einen "Erneuerungsprozess durchlaufen". Zum neuen Konzept der Kita gehöre nun die "offene Arbeit", die auch durch einen neuen Namen zum Ausdruck kommen solle. Weiter heißt es in der städtischen Stellungnahme, dass "selbstverständlich" die "aktuell öffentlich geführte Diskussion um die Namensgebung" mit einfließen werde – "mittelfristig".
Abschließend betonten die Offiziellen der Stadt:
"Selbstverständlich wird Bürgermeister Andreas Brohm diesen partizipativen, d.h. von allen Beteiligten zu diskutierendem Prozesse moderierend und gleichzeitig fest verankert auf dem Fundament unserer freiheitlichen Grundordnung begleiten. Tangerhütte mit seinen Bildungseinrichtungen und all seinem bürgerschaftlichen Engagement steht für ein weltoffenes Deutschland, das sich gleichzeitig seiner historischen Verantwortung genauso bewusst ist wie seinem Bildungsauftrag."
Zum Stichwort Partizipation meldete die Volksstimme, dass der Wunsch nach einer Umbennung von Eltern und Mitarbeitern an die Verwaltung herangetragen worden wäre. Die Zeitung zitierte die Leiterin des Kindergartens, die davon gesprochen habe, dass mit dem "Veränderungsprozess" auch der neue Name "kindgerechter" klingen solle. Zudem hätten "Eltern mit Migrationshintergrund" mit dem bisherigen Namen "oft nichts anfangen" können. Daher habe man für den neuen Namen "etwas ohne politische Hintergründe" gesucht.
Noch bis Ende letzter Woche hatte Andreas Brohm, der parteilose Bürgermeister von Tangerhütte, keinen Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Krieg im Nahen Osten herstellen wollen:
"Wenn Eltern und Mitarbeiter einen Namen möchten, der das neue Konzept besser abbildet, hat das gegenüber der weltpolitischen Lage mehr Gewicht."
Auch Wolfgang Schneiß, der "Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt und gegen Antisemitismus", hatte sich eingeschaltet: Zwar äußerte er Verständnis für den "positiv gemeinten Impuls", der mit den Umbenennungsplänen verbunden sei, betonte jedoch auch sein Bedauern darüber, dass "ein Ort wegfällt, der an Anne Frank erinnert".
Über das Wochenende berichteten nicht nur die Lokalpresse und der MDR, über das Thema, sondern es war auch überregional ein Sturm der Entrüstung über das Vorhaben der sachsen-anhaltinischen Kleinstadt ausgebrochen. Portale wie Apollo News und Tichys Einblick meldeten, dass "Migranten-Eltern" oder die Leitung der Kita selbst mit dem Namen Anne Frank "nichts mehr anfangen" könnten. Die taz sprach bereits von "getilgtem Gedenken" – und die FAZ davon, dass die Kindertagesstätte "das Andenken an das jüdische Mädchen durch einen Allerweltsnamen vergessen machen" wolle. Die Bild zitierte den Landeswirtschaftsminister Sven Schulze (CDU), der auf X/Twitter geschrieben hatte:
"Die CDU im Stadtrat von Tangerhütte wird einer Umbenennung der 'Anne Frank'-Kita selbstverständlich nicht zustimmen. Hoffe, alle weiteren Stadträte auch nicht. Nicht nur in der heutigen Zeit, sondern generell ist solch ein Vorschlag völlig abwegig, instinktlos und kleingeistig."
Für das entsprechende Framing hatte das Springer-Blatt bereits zuvor selbst gesorgt: Während in deutschen Großstädten "Judenhasser-Mobs durch die Straßen" zögen, "die allen Juden den Tod und dem Staat Israel die Vernichtung" wünschten, spiele man "in einem kleinen Örtchen in Sachsen-Anhalt (...) heile Welt." Man habe dort beschlossen, "den Namen des berühmtesten jüdischen Mädchens der Welt aus dem Namen einer Kita zu tilgen."
Während der Kölner Stadtanzeiger oder die Rheinische Post – ähnlich wie die Junge Freiheit – zunächst nur über den Vorgang berichteten, registrierte der Focus dann mit spürbarer Erleichterung, dass der Stadtrat von Tangerhütte die Umbenennung der Kita abgelehnt hat. Auch der Wiener Standard widmete sich dem sachsen-anhaltinischen Eklat, doch der Neuen Zürcher Zeitung blieb es vorbehalten, aus Anne Frank ein "niederländisches Mädchen" zu machen.
Nachtrag, 7. November 2023, 14.30 Uhr:
Inzwischen hat die NZZ ihren Fehler korrigiert und spricht nur noch von dem "Mädchen". In der ersten Fassung des Artikels lautete der Satz:
"In ganz Deutschland sind zahlreiche Kindergärten nach dem niederländischen Mädchen benannt, dessen Tagebuch eindrucksvoll Zeugnis ablegt von seinen Erlebnissen im Nationalsozialismus."
Nun hat die NZZ das Attribut gestrichen.
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